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In wenigen Stunden werde ich im Flieger nach Freetown sitzen und so mancher hat mir schon schöne und erholsame Urlaubstage gewünscht. Ich muss dann innerlich immer lachen, weil das, was ich am wenigsten mit Sierra Leone verbinde, ist Urlaub. In Sierra Leone sagt man „One thing a day“, das lässt mein straffer Zeitplan nicht zu, denn für all die Sachen, die ich geplant habe, sind drei Wochen eigentlich zu kurz.


Erholsam wird es also nicht und mich erwarten/erwartet ...

… viele Stunden ohne Strom und fließendes Wasser. Der Mangel an Wasser ist zum Ende der Trockenzeit immer ein Problem. Man muss sehr haushalten und Wasser sogar mehrfach verwenden (zum Beispiel zum Wäsche waschen und später als Toilettenspülung)

… viel Wartezeit. In Staus auf den zum Teil unbefahrbaren Straßen (auf denen trotzdem jeder fährt bis er sich festgefahren hat) und wenn sich jemand mal wieder um drei Stunden (keine Seltenheit!) verspätet.

… viele Fahrten in nicht mehr fahrtüchtigen Fahrzeugen, die mit überhöhter Geschwindigkeit über die Schlaglochpisten fliegen, zusammengequetscht mit vielen anderen Menschen und Tieren

… Kommentare über meine Figur. Dass ich schon dicker als beim letzten Mal bin, aber noch mehr zunehmen soll.

… Anmachen und Heiratsanträge von Männern auf der Straße (auch Polizisten oder Soldaten halten mich aus dem Grund gerne mal an) und leider auch immer wieder von Freunden/Bekannten.

… sehr abwechslungsreiches Essen: Reis mit Blättern, Reis mit Blättern, Reis mit Blättern. Morgens, mittags, abends.

… keine Privatsphäre. Was das ist, wissen die Sierra Leoner nicht und vor allem wenn ich nur kurz da bin, darf ich keinen Moment alleine sein. Von drei bis vier Uhr nachts ist das Telefonieren umsonst, daher eine beliebte Zeit, um alles Mögliche und Unmögliche zu besprechen.

… tropisches Wetter: extrem heiße Tage und Nächte mit hoher Luftfeuchtigkeit

… eine sehr kontaktfreudige Tierwelt, vor allem nachts: Riesen-Kakerlaken, Malariamücken, Schlangen und andere nette Plagegeister.

… viele kulturelle Missverständnisse, wenn unsere Welten aufeinanderprallen.


Und trotz dieser Aussichten freue ich mich sehr...

… auf ein Wiedersehen mit Menschen, die mir etwas bedeuten und denen ich etwas bedeute. Ich muss mich nie um eine Unterkunft sorgen – im Gegenteil, ich kann zwischen vielen Einladungen wählen und jeder wird mir etwas Besonderes zu essen auftischen, auch wenn das bedeutet, dass die Familie für den Rest des Tages nichts mehr zu essen haben wird. Die Herzlichkeit und Freude, mit der ich immer begrüßt werden, ist unbeschreiblich; auch im Vorfeld habe ich schon einige erwartungsvolle SMS, Emails und Anrufe bekommen!

… auf viele lachende Gesichter, vor allem die der Kinder.

… endlich die neue Schule zu sehen! Und zu wissen, dass unser Projekt etwas verändert im Leben einiger Menschen und dass das Bisherige erst der Anfang war!

… auf neue, spannende und total überraschende Erlebnisse, Eindrücke und Begegnungen. Bisher gab es jedes Mal mindestens eine Situation in Sierra Leone, die mich komplett aus dem Konzept gebracht hat; ich bin gespannt, was es diesmal sein wird!


Aus dieser Perspektive gesehen werden die vielen nicht so schönen Aussichten zwar nicht zur Nebensache, aber die Freude überwiegt eindeutig.

Herzliche Grüße
Hanna