Newsletter Nr. 11





Liebe Leser,

Wir haben vor Kurzem unsere Uhren von Sommer - auf Winterzeit umgestellt. Am letzten Samstag musste ich meine Uhr – besser gesagt meine innere Uhr – auf BMT umstellen. Black man time. Für ihren entspannten Umgang mit der Zeit sind die Afrikaner bekannt. In Sierra Leone regt es mich regelmäßig auf, aber da gehört es irgendwie auch zu einem gewissen Grad dazu.

Manchmal begegnet einem BMT aber auch in unseren Breitengraden: Am Samstag war ich in der sierra leonischen Botschaft in Berlin zu Gast. Zusammen mit anderen Vertretern des Netzwerks kleinerer Projekte in Sierra Leone und dem Botschaftspersonal wollte ich die aktuelle Lage Westafrikas besprechen. Die meisten von uns geladenen Gästen waren deutsch oder Sierra Leoner, die schon eine gewissen Zeit in Deutschland leben und die deutsche Pünktlichkeit verinnerlicht haben. Um 14 Uhr sollte es losgehen. Um 14 Uhr saßen wir auf unseren Plätzen. Nach und nach wurden Getränke von zwei Asiatinnen (!) auf die Tische gestellt, kleine Snacks auf die Tische gestellt. Eine gute halbe Stunde später bequemte sich der Botschafter mit seinem Herald (ein Botschaftsmitarbeiter, der das Gespräch moderiert hat, aber auch zum Teil die Antworten des Botschafters übernommen hat) in den Raum. Neben dem zeitlichen Aspekt wurden auch einige andere kulturelle Unterschiede deutlich.

In Sierra Leone zeigt man gerne, was man hat. Besonders gut kann man das mit kleinen Statussymbolen wie Handys tun. Wer Geld hat, hat zwei oder mehr Handys mit SIM-Karten von jeder Telefongesellschaft, damit man günstiger von Anbieter zu Anbieter telefonieren kann. Ist doch ganz logisch, damit spart man langfristig Geld; mehrere Handys sind also eine Investition in die Zukunft. Deshalb hatte der Botschafter auch zwei Smartphones vor sich auf dem Tisch liegen, die er selbstverständlich auch beantwortet hat. Ein weiterer kultureller Unterschied: In Sierra Leone ist es eher unhöflich, einen Anruf nicht zu beantworten als ein Gespräch oder ein Meeting damit zu unterbrechen.

Im Laufe des Meetings hat sich jedes Projekt kurz vorgestellt. Bei uns Deutschen ging das ziemlich schnell: Name, Name des Projekts, die Ziele des Projekts und was zur Zeit zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie getan wird. Fertig. Die Sierra Leoner begannen alle mit einer wortreichen Dankesrede, dass der Botschafter sich die Zeit genommen habe, was er und die Regierung alles tun und und und - es gab viele Gründe, um dankbar zu sein. Auch wenn ich in Sierra Leone bin, denke ich oft nicht daran, diese vielen Umschweifungen zu machen und vor allem Probleme nicht direkt anzusprechen, sondern eher zu umkreisen. Ich weiß, dass ich damit schon einige Leute vor den Kopf gestoßen habe und am Samstag ist es mir wieder sehr bewusst geworden.

Insgesamt war es ein gutes und vor allem konstruktives Treffen, denn die Botschaft hat einige Zusicherungen gemacht: Es gibt immer wieder Prozesse, die durch unnötige Bürokratie und Korruption verlangsamt werden, auf die die Botschaft aber durchaus Einfluss hat. Gerade in diesem Bereich hat sie uns Hilfe zugesagt. Mal sehen, wie es dann in der Realität aussieht.


Vor Ort hat sich die Lage leider nicht entspannt. Momentan liegen die Zahlen der Neuinfektionen pro Tag bei durchschnittlich 50. Pro Neuinfektion müssen nach einer groben Schätzung sieben Leute unter Quarantäne gestellt werden, was bedeutet, dass täglich 350 Leute neu unter Quarantäne gestellt werden. Auf drei Wochen gerechnet müssen im Schnitt immer 7350 Menschen täglich versorgt werden, weil sie alleine nicht die Möglichkeit dazu haben. Dies betrifft nur konkrete Fälle und nicht Vorbeugungsmaßnahmen, wenn zum Beispiel ganze Straßenzüge oder Dörfer abgeriegelt werden, was in den vergangenen Wochen häufig gemacht wurde. Die Zahl der Menschen unter Quarantäne ist also deutlich höher. Auch die Zahl der Neuinfektionen wird in den nächsten Wochen wahrscheinlich noch stärker ansteigen und damit wird es dann trotz neuer Behandlungszentren an zahlreichen Betten und an Pflegepersonal fehlen.

Wenn ich diese Zahlen höre und lese, fühle ich mich oft so ohnmächtig. Doch ich bin froh für die Kontakte vor Ort, die mir immer wieder zeigen, dass hinter jeder Zahl ein Mensch steckt und dass selbst unserer kleiner Beitrag in dieser Krise das Leben Einzelner erleichtern und verändern kann. Schon mehrere Sierra Leoner haben mir gesagt, sie wüssten nicht, ob sie ohne die Unterstützung heute noch am Leben wären.

Vielen Dank deshalb an euch für eure vielen Spenden in den letzten Wochen! Wir haben sie neben der regelmäßigen Unterstützung für einige Familien ohne Einkommen unter anderem dafür eingesetzt, dass 75 unter Quarantäne stehende Menschen in der Stadt Makeni täglich mit frischen Lebensmitteln und einer warmen Mahlzeit versorgt wurden. Es hat mich gefreut, dass neben Reis und Co auch Schokolade, Milchpulver und frisches Obst als eine kleine Aufmunterung und Nervennahrung verteilt wurde. Bei den täglichen Besuchen während der dreiwöchigen Quarantäne wurde auch stets der Gesundheitszustand der Menschen abgefragt und Personen mit Symptomen direkt ins Krankenhaus eingeliefert. Leider habe ich keine Informationen bekommen, wie viele Menschen Symptome gezeigt haben beziehungsweise wie viele gesund entlassen wurde, aber ich versuche es noch herauszufinden.

Eine gute Woche wünscht euch
Hanna

P.S. Ich habe übrigens meinem Chef auch Bericht erstattet und gefragt, ob er sich nicht mit einer Spende beteiligen möchte. Macht er und zwar mit einer, wie ich finde, coolen Aktion. Wir machen als Unternehmen einen umgedrehten Adventskalender und reduzieren diesen auf 21 Tage – die Zeit, die ein Mensch unter Ebola-Verdacht unter Quarantäne verbringt. Im Vorfeld bekommt jeder Angestellter 80 € zur Verfügung gestellt und hat die Aufgabe, dieses Geld einzusetzen und zu vermehren. An jedem Dezembertag werden wir im Internet kleine Videos oder Fotos veröffentlichen, wie die Mitarbeiter auf unterschiedliche Weise das Geld vermehrt haben. Die 80 € plus der Zusatz werden gespendet und wir werden unsere Kunden auch miteinbinden, in der Hoffnung, dass auch sie sich beteiligen. Ist das auch eine Idee für euer Unternehmen?